Neustart mit Altlasten: Modernisierung der Banken-IT

Die meisten Banken sehen die Notwendigkeit der Digitalisierung und dennoch wachsen technologische Defizite – dank veralteter Legacy-Systeme. Fünf Wege der Modernisierung.

Auf der Handelsblatt-Tagung „Banken im Umbruch“ diskutierten Anfang September hochrangige Entscheider, wie z.B. der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank John Cryan, Commerzbank-CEO Martin Zielke oder auch UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber, über die Bank der Zukunft. Unumstritten ist – zumindest in dieser Runde – dass beim Thema Digitalisierung dringender Handlungsbedarf besteht: Sie hat den Bankenmarkt voll erfasst und die Wettbewerbsbedingungen werden von neuen Playern und Technologien sowie veränderten Kundenanforderungen geprägt. ING-Chef Ralph Hamers bezeichnet Banker gar als „eine vom Aussterben bedrohte Art“. Institute hätten keine andere Wahl, als „ein Technologieunternehmen mit einer Banklizenz“ zu werden. Und trotzdem scheuen viele Kreditinstitute den radikalen Wandel: Legacy-Systeme werden zum Bremsklotz.

Totgesagte leben länger

Viele Banken arbeiten nach wie vor mit veralteten, heterogenen Legacy-Systemen. Die fast unweigerliche Folge: ausufernde Betriebs- und Wartungskosten, fehlende Flexibilität und hohe Ressourcenbindung. Dazu kommt der stetig steigende Regulierungsaufwand im Bankenumfeld. Bereits im Juni 2015 habe ich dargelegt, warum Legacy-Systeme keine Zukunft mehr haben. Unterstrichen werden diese Argumente – insbesondere die Problematik der technischen Schulden und der Kostenfrage – auch von einer Studie von Bain & Company: 63 Prozent der befragten Banker geben an, dass die technischen Schulden in den kommenden drei Jahren sogar noch wachsen werden. 29 Prozent sagen, dass die Legacy-Architektur zur Hypothek wird und bei Weitem noch nicht ausreicht, um wichtige Unternehmensziele zu erreichen.

Gleichzeitig positionieren sich FinTechs und große Technologiekonzerne als Alternative. Und für diese ist – wie meine ehemalige Kollegin Nadja Schlössel bereits vor einiger Zeit anmerkte – die IT ein Mittel zum Zweck: Zweck ist der Kunde. Dabei agieren sie befreit von Legacy-Systemen und sind den alteingesessenen Finanzdienstleistern damit digitale Meilen voraus.

Fünf Wege der IT-Modernisierung

Die Frage ist, wie erfolgreich kann die Digitalisierung umgesetzt werden, wenn die Basis nicht stimmt? Die Antwort ist einfach: Banken werden nicht darum herumkommen, in die Modernisierung ihrer Legacy-Systeme zu investieren. Hierzu möchte ich Ihnen fünf Optionen kurz vorstellen und damit einen Diskurs zur Zukunftsgestaltung eröffnen:

1. Neuentwicklung

Auf der grünen Wiese zu beginnen, wäre strategisch gesehen die richtige Antwort für eine erfolgreiche  Zukunftsgestaltung. Eine flexible, offene Systemarchitektur sorgt für Kostenvorteile. Eine offene und modulare Applikationsarchitektur, auf deren Basis Microservices in beliebigen Szenarien orchestriert werden können, für Geschwindigkeit in den digitalen Transformationsprozessen. Aber dieser Weg birgt große Herausforderungen: Dazu gehören die Identifikation der benötigten Businesslogik, hohe Kosten und eine lange Projektlaufzeit. Insbesondere das Identifizieren der vollständigen Businesslogik ist Software-Archäologie par excellence und damit ein Aufwand- und Kostentreiber: Meistens sind die Systeme unvollständig dokumentiert und parallel hierzu ist das Wissen der Fachbereiche zu ihren Businessprozessen und -regeln verloren gegangen, da die Blackbox IT-System durch die permanente Automation zu einem Schwarzen Loch mutiert ist, in dem es wenig Orientierung gibt.

2. Standardsoftware

Die meisten Standardsoftware-Lösungen für Banken stehen im Ruf, zu wenig Flexibilität für die individuellen Anforderungen großer Institute zu besitzen. Eine Meinung, der ich mich nicht anschließen kann – es gibt durchaus Systeme am Markt, wie unsere SolutionWorld Banking, die Optionen zur Individualisierung und Spezialisierung bieten. Zudem stellt die neue Generation von Banksystemen oft die Möglichkeit bereit, Bankprodukte mit Hilfe von Produktmanagementsystemen und Abwicklungsprozesse mittels BPM-Tools frei zu konfigurieren. Diese beiden Features gewährleisten die Flexibilität, die zu einer agilen Bank-IT führen kann. Der Hinkefuß ist hier wiederum die Extraktion der Businesslogik – und damit wären wir wieder bei der Software-Archäologie als Groschengrab und Zeitfresser angekommen. Möglicherweise ist der Einfluss hier aber geringer, da die Analyse auf Ebene von Models durchgeführt wird und dieses ohne Programmierung dem Laufzeitsystem zur Abarbeitung übergeben werden. Damit könnte dieser Ansatz stark budget- und zeitschonender wirken.

3. Migration

Eine Lösung, die die Phase des Reverse Engineerings und damit der Software-Archäologie einspart, neue Plattformen bedienen kann und budget- und zeitschonend wirkt, ist die automatisierte Migration. Die automatisierte Migration eines Altsystems auf eine moderne System- und Applikationsarchitektur hat den Vorteil, dass die Businesslogik 1:1 erhalten bleibt. Die Stolpersteine einer Neuentwicklung (Code Freeze, Kosten- und Zeitaufwand oder lückenhafte Dokumentationen) spielen hier kaum eine Rolle. Unter dem Strich werden eine schnellere und effizientere Entwicklung ermöglicht und die Voraussetzungen für eine agile IT geschaffen. Im besten Fall entsteht in der Folge kein Wartungsproblem, und zwar dann, wenn die bisherigen Entwickler erfolgreich in die neue Welt überführt werden. Anders sieht es aus, wenn die Wartung des migrierten Codes von jungen Java-Kollegen erledigt werden soll. Diese werden sich erst einmal schwertun, das prozedurale Java zu warten. Der aus der Altwelt mitgenommene COBOL-Programmierer wird sich dagegen sehr gut zurechtfinden, da er seine Modulstrukturen wiederfindet und seine Sources genauso organisiert sind wie bisher. Dies trägt dann auch zu einem schnellen Skillaufbau in der neuen Welt bei.

4. Outsourcing

Entgegen aller Bedenken über Sicherheitsanforderungen und trotz umfangreicher regulatorischer Anforderungen ist ein steigender Trend bei der Auslagerung von Bankenanwendungen und Plattformen in eine Service-Cloud („Maintenance-as-a-service“) zu verzeichnen. Allerdings muss hier ein intelligenter Vertrag geschlossen werden. Dieser sollte dem Provider die Option eröffnen, technologische und architekturelle Veränderungen an den Applikationen vorzunehmen, sofern dadurch strategische Ziele erzielt werden können. Bei PASS läuft dieses Konzept z.B. unter dem Namen Wellness Sourcing. Aktuell spart einer unserer Kunden so jährlich 1,7 Millionen Euro an Lizenzkosten ein – die Applikation wurde von uns rearchitectured und die Middleware durch Open Source ersetzt.

Der Fremdbetrieb der Systeme stellt insbesondere für kleine und mittlere Banken mit wachsenden Anforderungen an Betrieb und Infrastruktur ihrer Kernanwendungen eine interessante Alternative dar. Er bietet die Möglichkeit, Technologien zu standardisieren und zu modernisieren. Dennoch heißt es Augen auf bei der Wahl eines geeigneten Outsourcing-Partners: Neben der technischen Flexibilität und dem Standort ist v.a. regulatorisches und Reengineering-Know-how gefragt.

5. Mix aus Make, Buy and Reuse

Manchmal entsteht ein gutes Produkt erst durch den perfekten Mix der Zutaten – nicht nur beim Kuchenbacken, sondern auch bei der Sourcingstrategie für das Applikationsportfolio. Anstatt „Make or Buy“ könnte die Strategie dann „Make, Buy and Reuse“ heißen. Bei diesem Lösungsansatz liegt der Charme in der Option, marktdifferenzierende Applikationsbestandteile selbst zu programmieren (Make), änderungsstabile Applikationen zu erhalten (Reuse) und Commodities kostengünstig zu kaufen (Buy). Das hilft, Kosten zu sparen, Zeit zu gewinnen und die Marktdifferenzierung aufrechtzuerhalten. Als Nachteile wird man wohl Heterogenität, Integrationsaufwände und unterschiedliche Technologie-Stacks in Kauf nehmen müssen. Allerdings könnten die unterschiedlichen Technologie-Stacks durch eine Migration (Strategie 3) vermieden werden.

Digitalisierung ist ein individueller Weg

Die Modernisierung der IT bietet einen bunten Strauß an Möglichkeiten, deren Wahrnehmung mitunter in komplexen Projekten mündet. Handelt es sich i.d.R. doch um Anwendungen, die das operative Geschäft bedienen und damit manchmal um eine Operation am offenen Herzen. In der Praxis finden wir nahezu alle Strategien. Ein abstraktes Pro oder Contra ist von meiner Warte aus nicht möglich. In Abhängigkeit von vielen Entscheidungskriterien und deren Gewichtung muss jedes Unternehmen für sich entscheiden, welche Digitalisierungsstrategie die Richtige ist. Wir haben das bei uns z.B. unter dem Beratungsansatz Future IT zusammengefasst

„Wenn Sie erfolgreich eine digitale Transformation umsetzen wollen, können Sie nicht von Bankern geführt werden. […] Sie müssen […] etwas von Technologien verstehen.“ Dieser Aussage des FinTech-Gurus Chris Skinner möchte ich in diesem Kontext eine Absage erteilen: Es kommt nicht auf den Beruf an, sondern auf die Erkenntnis, dass die Bank – bedingt durch die Immaterialität der Bankprodukte – die Option für eine Volldigitalisierung bietet und damit für nachhaltige operationale Effizienz.

Nun frage ich Sie: Wie sieht es in Ihrer Bank aus – ist Ihre Strategie klar? Wissen Sie, wie Sie mit Ihrer Legacywelt umgehen und wie Sie die digitale Transformation bewältigen wollen?

 

Bildquelle: Shutterstock

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