Die digitale Zukunft der Versicherungswirtschaft

In welchem Stadium befindet sich die Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft, muss sich die Branche gegen Google, Amazon, Facebook & Apple (GAFA) aufstellen und gibt es neue technologische Treiber? Diesen Fragen ging ich kürzlich auf dem Partnerkongress der Versicherungsforen Leipzig nach.

Als ich mich vor drei Jahren das erste Mal mit dem Thema Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft auseinandersetzte, wurde mir eines schnell klar: Jeder versteht unter dem Buzzword etwas anderes, es gibt unterschiedliche Denkansätze und divergente Umsetzungsoptionen. Digitalisierung ist nicht gleich Digitalisierung, es ist nicht zuletzt eine Frage des Ausgangspunkts. Bis heute vergeht kaum ein Tag ohne Meldungen rund um das Thema. Oft stehen Defizite der gestandenen Versicherer im Blickpunkt, aber fast genauso oft Start-ups mit neuen Ideen. Interessant war das harmonische Miteinander zwischen InsurTech-Vertretern und Alteingesessenen auf dem Leipziger Partnerkongress – keine hitzigen Diskussionen wie noch im letzten Jahr, sondern vielmehr Eintracht.

GAFA als Mutprobe

Google, Amazon, Facebook & Apple: Die Tech-Riesen stehen für Innovation und sie sind auch aus der Versicherungswelt nicht mehr wegzudiskutieren. Meine Gesprächspartner in Leipzig machten allerdings deutlich, dass man durchaus mit ihnen leben kann. Angst wäre an dieser Stelle die falsche Reaktion, die richtige Antwort ist Respekt – gepaart mit dem Mut Neues zu wagen. Sicherlich nutzen die GAFAs ihre Reichweite und ihren immensen Datenschatz, um gezielt Kundenwünsche zu analysieren und diese dann mit passgenauen Produkten zu erfüllen, während Versicherer hierzulande notgedrungen noch oldschool und kostenintensiv in der Kundenanalyse und Produktentwicklung unterwegs sind. Doch erste Ansätze zeigen, dass man sich zu helfen weiß: Teilweise dauert es vielleicht etwas länger als geplant, aber man probiert, tüftelt, gründet, schließt sich zusammen und bietet den großen Tech-Playern die Stirn.

Wichtig, so bestätigten mir meine Gesprächspartner, ist der gezielte Fokus auf den Kunden. Nichts sollte unversucht bleiben, um dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist aber eigentlich auch keine neue Erkenntnis. Ein Versicherungsvertreter der alten Schule sagte: „Das war doch schon immer so!“ Stimmt. Nur haben sich die Zeiten geändert. Früher kannte man den Kunden noch persönlich, seine Vorlieben, Vereinszugehörigkeiten, die Familienangehörigen durch den – ja genau richtig erkannt – persönlichen Kontakt. Da kam der Sohn und schloss eine Kfz-Versicherung ab, weil der Papa das auch schon immer so machte. Da wurden die Haftpflicht und die Hausratpolice angesprochen und gleich mitverkauft. Heute sucht der Nachwuchs im Internet und schließt zwischen Fitnessstudio und Disco kurz die Kfz-Versicherung ab. Und zwar dort, wo es einfach, schnell und günstig angeboten wird. Das Internet macht es möglich. Und genau hier sehen wir den Unterschied zwischen „den Kunden kennen“ und „den Kunden im Fokus haben“. Es geht um die Bedürfnisse des Kunden, er möchte kostengünstig und bequem bedient werden, aber natürlich mit Top-Qualität – ansonsten zieht er weiter.

Das Beispiel Vivy

Einen interessanten Ansatz zeigte beim Partnerkongress das junge Unternehmen Vivy – übrigens eine 70-prozentige Tochter der Allianz SE – auf. Es ist gerade mit einer App an den Start gegangen, die es Millionen Versicherten ermöglicht, ihre Gesundheitsdaten digital zu verwalten. Das Start-up hat die Kundenbedürfnisse erkannt: Es vernetzt und verbindet und ist damit eine sehr gelungene und ergonomische Umsetzung einer C2B2B-Prozesskette.

„Eine digitale Gesundheitsakte muss auch mehr als ein Ablageort für Dokumente sein. Vivy ist genau das. Vivy ist bei Gesundheit wie Krankheit hilfreich. Vivy gibt nützliche Hinweise, erinnert, erklärt und informiert, ja, manchmal gibt sie sogar den nötigen Schubs, damit man sich um seine Gesundheit kümmert. So ist Vivy für unsere Versicherten ein Mehrwert.“

Daniel Bahr, Vorstand Allianz Private Krankenversicherung

Innovative Kfz-Tarife von FRIDAY

Aber auch im Segment der Kfz-Versicherungen müssen wir, wenn wir den Worten der Keynote von Dr. Christoph Samwer Glauben schenken, die großen Tech-Player nicht fürchten. Mit FRIDAY präsentierte er uns die Welt der digitalen Autoversicherer. Das Start-up ist Teil der Schweizer Baloise Group, die mit ihm in den deutschen Markt für Telematik-Tarife vorstößt. Das Angebot ist einfach, leicht verständlich und besteht im Wesentlichen aus drei Teilprodukten: Der Kunde hat die Möglichkeit, eine Kfz-Versicherung mit kilometergenauer Abrechnung, eine monatlich zahlbare und kündbare klassische Autoversicherung oder eine Kfz-Zusatzfahrerversicherung abzuschließen. Innovativ, digital und zudem auf den Nutzen des Kunden abgestimmt – große Zustimmung und Beifall für den gelungenen Vortrag im Saal.

Mit KI zu mehr Erfolg

Die Versicherungsforen verstehen sich als Dienstleister für Forschung & Entwicklung in der Versicherungswirtschaft – ihre Kernkompetenz liegt im Erkennen und Aufgreifen neuer Themen und Trends. Mit Ecosystem Mobility, Artificial Intelligence (AI) & Smart Services sowie Data Science & Human Behavior standen dieses Mal gleich drei interessante Zukunftsthemen auf der Agenda. Mein Interesse galt dabei im Besonderen dem Komplex Artificial Intelligence.

Besonders interessant war der Vortrag von Frank Stuch, Bereichsleiter Datenverarbeitung bei der INTER Krankenversicherung AG, der die „Empathische Versicherungsassistentin“ EVA vorstellte. Ziel von EVA ist es, den Kundenservice mittels KI zu unterstützen, und so eine bessere Kundeninteraktion anzubieten.

Und wie macht sich EVA, die direkt in den Online-Abschluss der Zahnzusatzversicherung eingebunden ist? Frank Stuch gab einige interessante Fakten preis:

  • Etwa 1.000 Chats mit EVA pro Monat
  • Steigerung der Abschlussquoten um ein Drittel
  • Rund 70 Prozent aller Online-Abschlüsse ohne menschliche Vermittlung
  • 20 fachliche Dialoge sowie 661 Antworten auf Q&As
  • 2.237 Beispielsfragen für 75 Intents

Aus meiner Sicht sind Chatbots gepaart mit AI, also „Artificial Coworker“, gerade für den Produktvertrieb und für den Follow-the-Sun-Support eine interessante Option: Sie arbeiten 24 Stunden ohne Pause und sind auch bei Reklamationen sowie wiederkehrenden Fragen nicht aus der Ruhe zu bringen – sprich immer sachlich und hilfsbereit.

Start-up-Pitch um den Rockstar Award

Auch 2018 stellten sich zwölf vom Organisator ausgewählte Start-ups dem Wettstreit um den Rockstar Award. Die Teilnehmer: Eine interessante Mischung aus „gestandenen“ Start-ups wie z.B. MINEKO (Prüfung von Nebenkostenabrechnungen) oder Vivy und echten Newcomern wie z.B. IMburse (cloud-basierte Transaktions-API). Nachfolgend möchte ich auf zwei Pitches eingehen, die mir besonders gut gefallen haben.

  1. Eine Schnittstelle für alles: Oliver Werneyer, Co-Founder und CEO der IMburse AG stellte seine cloud-basierte Payment-Transaktions-API vor, die es Versicherern ermöglicht, alle wichtigen Payment-Transaktionstechnologien über eine einzige Schnittstelle zu bedienen. Das heißt, über nur eine Schnittstelle kann Geld eingesammelt oder ausgezahlt werden – und zwar in allen Märkten, allen Währungen, über alle Technologien und mit allen Partnern. Damit reduzieren sich zum einen Kosten und zum anderen lassen sich schneller neue Produkte und Geschäftsmodelle generieren.
  2. Glücklicher Sieger und damit der Rockstar des diesjährigen Partnerkongresses ist Benny Bennet Jürgens, CEO der Nect GmbH. Das Start-up deckt mit seinem Produkt ein Thema ab, das alle Anbieter am Markt bewegt: Die eindeutige Feststellung der Identität eines Marktteilnehmers. Die Software basiert auf KI und ermöglicht regulierten Unternehmen, die hohen Anforderungen des Gesetzgebers sicher und nutzerfreundlich einzuhalten. Die Identität des Nutzers kann digital und ohne Medienbruch über ein simples Selfie festgestellt werden.

Vermisst habe ich im Rahmen des Rockstar Awards InsurTechs/LawTechs, die sich auf die Analyse und Interpretation von Gesetzestexten sowie die Auswertung enormer Datenmengen (Texte, Bilder und Metadaten) mittels AI spezialisiert haben. Dadurch wird es möglich, Vorhersagen zu Verkaufserfolge zu treffen, inhaltliche Zusammenfassungen großer Textwerke zu erzeugen oder automatische Produktbeschreibungen zu erstellen. Hier wäre beispielhaft das Start-up Retresco aus Berlin zu nennen.

Ein gelungener Event

Der Partnerkongress war auch 2018 wieder ein voller Erfolg: Die Teilnehmer waren sehr zufrieden mit den Beiträgen und der schönen Kulisse in Leipzig. Für mich nehme ich mit, dass das Thema Artificial Intelligence sich weiter in der Versicherungswirtschaft verankern und als Wachstums- und Wettbewerbstreiber fungieren wird. Ähnliches gilt für die Bereiche Big Data, Data Science und Mobility. Zudem hat die Branche die Zeichen der Zeit erkannt und wappnet sich gegen die scheinbar übermächtige Konkurrenz aus Übersee. So sind auch immer mehr Kooperationen zwischen etablierten Playern und jungen dynamischen Start-ups zu verzeichnen – denn erfreulicherweise ist der Gründer- und Erfindergeist nach wie vor ungebrochen.

 

Bildquelle: Shutterstock

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