Pay as you live – werden Selbstoptimierer-Tarife den Versicherungsmarkt drastisch verändern?

Sind Pay-as-you-live-Tarife Fluch oder Segen? Diese Frage beleuchtet für uns diese Woche Vincent Wolff-Marting, Leiter des Kompetenzteams Informationstechnologie bei den Versicherungsforen Leipzig.

In Reaktion auf die Ankündigung der Generali, einen Selbstoptimierer-Tarif für gesundheitsbewusste Kunden anzubieten, wurde Ende Januar das Ergebnis einer „Kleinen Anfrage“ des Bundestages zu der Frage veröffentlicht, inwieweit Versicherungen mittels Apps Daten zum Verhalten der Versicherten erfassen und verwenden dürfen. Gefragt hatte der Abgeordnete Harald Weinberg (Linksfraktion) und laut Presseberichten interpretierte er die Antwort so, dass Versicherer „weitgehend freie Hand haben“. Was manchen Marktteilnehmer nun vielleicht innerlich frohlocken lässt, ist für Herrn Weinberg ein Ausdruck von „Bürgerrechtsfeindlichkeit“.

Das lässt sich natürlich auch etwas differenzierter sehen: Meine Zusammenfassung des Antwortschreibens der Bundesregierung wäre:

  • Wer per Apps Gesundheitsdaten erfassen und verarbeiten möchte, benötigt eine schriftliche, besonders hervorgehobene Einwilligung des Nutzers (zu Frage 1).
  • Die bereits verfügbaren Apps der gesetzlichen Krankenversicherer werden gerade vom Bundesversicherungsamt (BVA) aufsichtsrechtlich geprüft (zu Frage 34).
  • Eine Verschärfung der Gesetzeslage ist nicht geplant (zu Frage 2-4).

Schon am ersten Punkt scheiden sich die Geister. Während Kritiker, wie Herr Weinberg, vermuten, dass die Bürger die nötigen Einwilligungen leichtfertig und uninformiert geben würden, ist es bei genauerem Hinsehen für App-Anbieter überhaupt nicht trivial, eine Einwilligung zu bekommen, die dem Bundesdatenschutzgesetz genügt. Denn „die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist“ (§ 4a Abs. 1 Satz 3 BDSG). Und Schriftform bedeutet eben erstmal mit Tinte auf Papier und nicht mit einer Touch-Geste auf dem Handy. Ob und wann die Umstände besonders sind, wird dann vermutlich die Rechtsprechung in ein paar Jahren geklärt haben.

Versicherer hätten hier vielleicht sogar eine gute Chance, da sie, anders als die handelsüblichen Fitness-App-Anbieter, ohnehin meist schriftliche Vereinbarungen mit ihren Kunden haben. In denen muss der Hinweis auf die Erhebung und Verarbeitung der Gesundheitsdaten nur noch besonders hervorgehoben werden (§ 4a Abs. 1 Satz 4 BDSG) und dann kann es losgehen. Sie können ja in der Zwischenzeit kurz schauen, ob Sie bei Ihrem iPhone den entsprechend hervorgehobenen Passus im Softwarelizenzvertrag für die neue Health-Anwendung finden.

Warum der ganze Aufruhr?

Wenn die Bürger befragt werden, ob sie bereit wären, ihre Daten preiszugeben, wenn Sie dafür Vergünstigungen erhalten, ergibt sich zurzeit meistens eine Dreiteilung: Etwa ein Drittel ist strikt dagegen, zwischen einem Viertel und einem Drittel können es kaum abwarten und der Rest äußert sich je nach Fragestellung mehr oder weniger indifferent.

Insofern ist es realistisch, wenn Christoph Schmallenbach (Vorstand der deutschen Generali) vermutet, mit einem App-basierten Bonusprogramm jeden fünften Deutschen interessieren zu können. Die Sorge von Herrn Weinberg ist, dass solche Bonus-Apps oder Selbstoptimierer-Tarife, auch wenn sie zunächst nur für Freiwillige angeboten werden, irgendwann dazu führen, dass die Menschen mit geringem Risiko alle freiwillig die für sie günstige Option nutzen. In den klassischen Tarifen bleiben dann nur Menschen mit einem hohen Risiko, und für die wird es teuer. Juli Zeh und Sascha Lobo warnen davor, dass Selbstoptimierer-Tarife wie der von der Generali angekündigte in Richtung gesellschaftliche Manipulation und Unfreiheit (sogenanntes Nudging) führen könnten.

Genau wie bei den Kfz-Telematik-Tarifen sind Versicherer in anderen Ländern schon weiter (z. B. PruHealth und Discovery), jedoch ist die Vergleichbarkeit von Versicherungstarifen über Landesgrenzen hinweg schwierig, da Kranken- und Schadenstatistiken, Regulatorik, Preisgefüge usw. höchst unterschiedlich sind. Interessanterweise sind auch die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland schon weiter; sie haben Bonussysteme zunächst mit Stempelheftchen eingeführt, mittlerweile bei einigen Häusern ergänzt durch Fitness-Apps. Apropos: Können Sie sich noch an den Skandal erinnern, den es bei der Einführung der DAK-Fitcheck-App gab? Ich auch nicht.

Gerade die Besonderheiten des deutschen Versicherungsmarktes nehmen den oben genannten Befürchtungen rasch die Schärfe. Der Systemwettbewerb zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Versicherern einerseits und der Wettbewerb zwischen gewinnorientierten Aktiengesellschaften und nach anderen Zielen ausgerichteten Versicherungsvereinen andererseits machen es sehr unwahrscheinlich, dass es durch die Einführung eines Selbstoptimierer-Tarifs zu schweren Verwerfungen kommt.

 

Bildquelle: Bloomua / Shutterstock.com

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