Es ist mal wieder so weit – die Riester-Rente wird durchs Dorf getrieben. Den aktuellen Startschuss gab Anfang April der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer: „Riester ist gescheitert“.
Dann folgten wahre Medienstürme: Der WDR malte in seinem Morgenecho ein apokalyptisches Bild der Rentenarmut, Frank Plasberg hatte bei Hart aber Fair alle Hände voll zu tun, die hitzigen Diskussionen abzukühlen, ganz ähnlich Maybritt Illner. Und egal aus welcher politischen Richtung – jeder hatte etwas zum Thema beizutragen.
Die Frage nach dem Warum ist, so denke ich, primär mit reinem Populismus im aufkommenden Wahlkampf zu beantworten. Der wahlkampftaktische Tenor lautet kurzgefasst: mehr Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und ein Stopp der Förderung von Riesterprodukten, welche eh nur Versicherungen und sonstige Anbieter subventioniert. Und das alles vor dem Hintergrund, dass bei der nächsten Bundestagswahl weit über 20 Millionen Rentner und Demnächst-Rentner mit ihren Stimmen winken.
Frei nach dem Motto: Was bei der letzten Wahl so schön funktioniert hat, funktioniert auch bei der nächsten. Hierzu schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung:
„Weil bei der letzten Bundestagswahl die Generation ab 60 Jahre mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte wie die Gruppe der Jungen unter 30 Jahren stellte, gewannen die Union mit der „Mütterrente“ und die SPD mit der „Rente mit 63“ die Wahl.“
Riester-Rente vs. Rürup-Rente
Die Riester-Rente ist ein Bestandteil des sogenannten Drei-Säulen Modells zur Alterssicherung, welches zu Beginn des Jahrhunderts im Zuge der Agenda 2010 eingeführt wurde: Die erste Säule umfasst die gesetzliche Vorsorge über Pflichtbeiträge und Umlageverfahren, die zweite Säule die betriebliche Altersvorsorge und die dritte Säule schließlich die private Vorsorge nach dem Deckungsverfahren. Die Riester-Rente fällt unter Säule 3, in der sich übrigens auch die Rürup-Rente tummelt. Analog zur Riester-Rente ist sie ebenfalls mit staatlicher Förderung in der Ansparphase (hier: reine Steuerentlastung) und nachgelagerter Besteuerung in der Auszahl- oder Rentenphase hinterlegt. Merkwürdigerweise wird die Rürup-Rente nicht zyklisch durch den Kakao gezogen. Das könnte daran liegen, dass sie eher für Selbständige und Freiberufler gedacht ist und damit weniger für breite Verunsicherungskampagnen geeignet…
Fakten anstatt Panikmache
Auch wenn es eine sehr abgedroschene Aussage ist, bleibt sie meiner Meinung nach korrekt: Vor dem Hintergrund der demografischen Parameter wird ein reines Festhalten an der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung mittel- und langfristig zum Scheitern verurteilt sein. Die Politik muss sich endlich von ihrer kurzfristigen Vierjahresbetrachtung (im Zyklus der Bundestagswahlen) lösen. Gefragt sind langfristige und sicher punktuell auch unpopuläre Entscheidungen. Ich persönlich halte die aktuelle Diskussion und die damit betriebene Verunsicherung für nicht zielführend. Nachfolgend möchte ich deshalb einige oft in den Raum gestellte Thesen rund um die Riester-Rente aufgreifen und beleuchten:
1. Die Rendite
Die Rendite der Riesterprodukte ist durch die Zulagen gerade für Familien und Alleinerziehende mit Kindern sowie für kleinere und mittlere Einkommen absolut rentabel. Laut der Euro am Sonntag vom 8. Mai 2016 erwirtschaftet ein berufstätiges Ehepaar mit Kind pro eingezahltem Euro rund 40 Cent (ohne zusätzliche Kapitalerträge), eine Mutter mit zwei Kindern ohne eigenes Einkommen erhält für 60 Euro Jahresbeitrag Zulagen in Höhe von 754 Euro. Sicherlich gibt es am Markt große Unterschiede bei den Kosten- und Ertragsparametern (siehe Punkt 3) aber man kann der Riester-Rente andererseits schlecht die Schuld daran geben, dass wir unter dem Diktat der Europäischen Zentralbank in ein bislang beispielloses Zinstief gerutscht sind.
2. Damit sich die Riester-Rente lohnt, muss ich mindestens 90 Jahre alt werden
Beil allen klassischen Spar-Riester-Produkten mit einer sogenannten Ansparphase und einer nachgelagerten Renten- bzw. Auszahlphase müssen die Anbieter zu Beginn der Auszahlphase mindestens die eingezahlten Beiträge und die erhaltenen Zulagen garantieren. Dieser Kapitalstock wird, vereinfacht gesagt, bei Eintritt in die gesetzliche Rente in eine lebenslange und gleichbleibende Rente umgewandelt. Unterstellt man – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation auf den Kapitalanlagemärkten –, dass im Zweifelsfall nur der garantierte Kapitalstock zur Verrentung zur Verfügung steht, hängt die Höhe der sich daraus errechneten lebenslangen Leibrente sehr stark von der verwendeten versicherungstechnischen Sterbetafel ab. Hier ist mir nicht bekannt, dass Versicherer spezielle ungünstigere Riester-Sterbetafeln verwenden. Das wäre verwunderlich, denn im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass die Versicherungswirtschaft davon ausgeht, dass Riester-Sparer länger leben als Nicht-Riester-Sparer. Folglich sehe ich hier keinen Riester-spezifischen Kritikpunkt. Fakt ist nun einmal, dass die Sterbetafeln regelmäßig an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. Somit sinkt tendenziell die Höhe einer lebenslangen Leibrente bei gleichem Kapitalstock. Wohlgemerkt ist das eine allgemeine demographische Notwendigkeit und kein Problem der Riester-Rente.
3. Augen auf bei der Produktqualität
Riester ist nicht gleich Riester. Es gibt aktuell über 4450 zertifizierte Produkte am Markt, welche sich in Versicherungsprodukte, Fondsprodukte, Banksparprodukte und Wohnriester-Produkte (z.B. Bausparverträge und Hypothekenprodukte für eigengenutztes Wohneigentum) aufgliedern. Sicherlich gibt es hier am Markt eine große Spreizung bzgl. der Qualität (primär definiert über Kosten-/Ertragsvergleiche). Hier kann nur angeraten werden, sich entsprechend zu informieren und auf seriöse Vergleichsportale und Tests zurückzugreifen. Per se zu behaupten, dass alle Riesterprodukte schlecht sind, ist schlichtweg falsch.
4. Komplexe Prozesse in der Abwicklung
Die Komplexität ist leider ein Fakt. Vergleicht man die Anzahl und Komplexität der ZfA-Meldungen (welche der Anbieter mit der Zentralen Stelle für Altersvorsorgevermögen im Rahmen der Prozessabwicklung austauschen muss) mit den Anfängen 2002/2003, kann man sich schon sehr über die stetige Zunahme wundern. Natürlich haben die 2008 eingeführten Wohnriester-Prozesse daran einen nicht zu vernachlässigenden Anteil, aber auch in den anderen Prozessfeldern ist das Bild ähnlich. So hat die ZfA für 2017/2018 beispielsweise eine Novellierung der Prozesse zum Anbieterwechsel angekündigt. Resultat auf Basis der ersten Skizzen: Die Anzahl der Meldungstypen für die Kapitalübertragung steigt von aktuell drei auf gut 15 Meldungen an!
In dem Kontext ist auch die Aufteilung von Vermögen und Erträgen in geförderte und ungeförderte Teile zwingend zu erwähnen. Was sich hier, getrieben durch das Bundesministerium für Finanzen, im Laufe der letzten Jahre an Berechnungsalgorithmik aufgetürmt hat, ist einfach gigantisch. Wenn man dem guten Walter Riester die Anlage 2 des „Kommunikationshandbuch Datenaustausch der Anbieter untereinander“ gewürzt mit einschlägigen BMF-Rundschreiben als Nachtlektüre unters Kopfkissen legen würde, wäre er sicher mehr als überrascht, was sich aus seinen Ideen so entwickelt hat. All das bedeutet für die Anbieter, dass sie weiterhin sehr hohe Summen in die Umsetzung und Weiterentwicklung der Systeme stecken müssen. Wohl dem, der sich frühzeitig für den Einsatz eines Standardsystems entschieden hat.
5. Anrechnung auf die Grundsicherung
Es wird oft bemängelt, dass die privat aufgebaute Riester-Rente im Alter bei der Berechnung der Grundsicherung von Rentnerhaushalten nicht außen vor bleibt. Unterstellt man beispielsweise zwei identische Haushaltseinkommen von 600 Euro pro Monat und eine Grundsicherungsgrenze von 750 Euro, erhalten beide Haushalte eine Aufstockung in Höhe von 150 Euro pro Monat. Hat jetzt aber der eine Haushalt jahrelang in eine zusätzliche private Riester-Rente einbezahlt (und hier über Jahre im Vergleich zum zweiten Rentnerhaushalt auf Konsum verzichtet), führt die zusätzliche Riester-Rente von beispielsweise 100 Euro im Monat dazu, dass dieser Haushalt im Rahmen der Grundsicherung lediglich eine Aufstockung über 50 Euro im Monat erhält. Am Ende verfügen beide Haushalte über die besagten 750 Euro im Monat. Wenn man ein solches Szenario vor Augen hat, vergeht einem natürlich die Lust am Riestern. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf von Seiten der Politik.
Punktuelle Reformen abseits der Wahlkampfpolemik
Mein persönliches Fazit lautet: Die Riester-Rente ist gut und ein wichtiger Baustein im Gesamtgefüge der Altersvorsorge. Bei aktuell über 16,5 Millionen Verträgen kann man auch nicht von einem gescheiterten Produkt sprechen. Es ist völliger Unfug und fahrlässig, die Riestersparer mit oberflächlichen Aussagen zu verunsichern. Selbstverständlich appelliere auch ich an den Gesetzgeber, punktuelle Nachbesserungen vorzunehmen – gerade in Bezug auf die Meldeprozesse und bei der Anrechnung auf die Grundsicherung –, aber aus meiner Sicht gibt es keinen vernünftigen Grund, die Sau alle vier Jahre wieder über den Dorfplatz zu treiben.
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