Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass auch Banken, die jahrzehntelang mit dem Begriff der Solidität in Verbindung gebracht wurden wie Topf mit Deckel, in existenzgefährdende oder gar -vernichtende Schieflagen geraten können. Das haben die Commerzbank und Hypo Real Estate eindrucksvoll demonstriert. Nach der Schockstarre folgte die Konsolidierungsphase und heute erscheint die Bankenlandschaft wieder als ein recht stabiler Wirtschaftssektor. Selbst in der aktuellen Niedrigzinsphase und angesichts nicht unerheblicher regulatorischer Anforderungen konnten sich einzelne Geschäftsbanken (z.B. die Deutsche Bank) 2014 über Rekordergebnisse freuen. Umso erstaunlicher liest sich das Statement von Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank, im IT Finanzmagazin:
„Banken, wie wir sie kennen, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Banken müssen sich neu erfinden: Ihre gesellschaftliche Akzeptanz ging verloren, die anhaltenden Niedrigzinsen erfordern ein neues Geschäftsmodell, die Regulierung lässt kaum mehr Raum für unternehmerische Entwicklung und gleichzeitig stärkt die Digitalisierung die neuen FinTechs.“
Rein objektiv betrachtet, können die beiden Störfaktoren Niedrigzins und Regulatorik von Banken in keiner Weise beeinflusst werden. Ganz anders sieht es jedoch mit der Digitalisierung, aus. FinTechs zeigen, wie die Möglichkeiten der Digitalisierung für innovative, aber dennoch leicht verständliche und vor allem preiswerte Produkte und Dienstleistungen nutzbar sind.
Mit privater Finanzplanung den Kunden fest verankern
Banken indes sehen die Digitalisierung der Geschäftsmodelle, Vertriebswege sowie der Kundenkommunikation noch als große Herausforderung und fühlen sich zunehmend vom rasant wachsenden Angebot der FinTechs bedroht. Sie nutzen die Potenziale der Digitalisierung mehr als zögerlich. Die PASS Studie Online-Banking 2014 offenbart: Von 50 Banken der DACH-Region setzen gerade mal neun auf die Steigerung der Kundenbindung durch den Einsatz von Tools zur privaten Finanzplanung (PFM) – in den allermeisten oder sogar allen Fällen übrigens Produkte von FinTechs.
So vertraut die Comdirect auf die Lösung von Meniga und verankert sich damit über das Girokonto sturmsicher bei ihrer Klientel. Warum? Auch wenn die aktuellen Analysemöglichkeiten für Kunden noch nicht den großen Durchbruch bei der Optimierung der persönlichen Finanzen darstellen, ist ein solches Tool für Banken ein echtes Pfund. Zum einem lassen sich die Geldhäuser die Nutzung der im PFM enthaltenen Daten von ihren Kunden explizit bestätigen und haben so unzählige Cross-Selling-Potenziale in der Hand, die sie völlig Compliance-konform nutzen können. Aus den bestens strukturierten Daten lassen sich passgenaue Beratungsdienstleistungen bzw. Produkte generieren. Zum anderen baut sich der Kunde einen Datenpool auf, den er beim Wechsel der Bankverbindung kompromisslos zurücklassen müsste – eine Entscheidung, die wohl überlegt sein will.
Digitalisierung der Vertriebswege und Kundenkommunikation ist unausweichlich
Banken können jedoch das Cross-Selling-Potenzial, das ihnen PFM bietet, nur dann tatsächlich heben, wenn die Digitalisierung der Vertriebswege und Kundenkommunikation ernsthaft vorangetrieben wurde. So könnten Kunden z.B. die Finanzierungsmöglichkeiten eines Eigenheimes (unter Berücksichtigung der aktuellen monatlichen Miete) aufgezeigt werden. Gleiches gilt für attraktivere Versicherungsprodukte auf Basis der aktuellen Versicherungsprämien.
Und hier kommt die Digitalisierung der Kundenkommunikation ins Spiel. Der Kunde wickelt seine Finanzgeschäfte online ab und genau an diesem Punkt ist die zielgerichtete Kundenansprache angeraten. Warum nicht also Kunden im Login-Bereich per individueller Nachricht oder noch besser direkt per Chat ansprechen, auf die identifizierten Potenziale hinweisen und zu den entsprechenden Produktseiten führen? Im nächsten Schritt kann eine Beratung per Telefon oder in einer Filiale erfolgen. Dem Berater stehen bei jedem Zwischenstopp der Customer Journey alle notwendigen Informationen zur Verfügung. Er ist über die Kundenanforderungen im Bilde, bevor er das Gespräch beginnt. Das ewige Wiederholen seines Anliegens bleibt Bankkunden erspart und die Reise auf dem Weg zum Produktabschluss wird zu einem angenehmen Erlebnis.
Digitalisierung im Produktvertrieb stark ausbaufähig
Eine Customer Journey ohne Loops oder Lücken und stattdessen kundenindividuelle Angebote – diesen Anspruch hat der Kunde im digitalen Zeitalter zu Recht und will selbstredend den Zugangsweg zur Bank frei wählen und wechseln können. Auch hier ist der Anspruch an die perfekte Customer Journey in Stein gemeißelt: kein Datenverlust aufgrund des Wechsels eines Zugangskanals. Das Finanzierungsangebot, das morgens auf dem Weg zur Arbeit per Smartphone berechnet wurde, muss abends auf der heimischen Couch per Tablet bearbeitet werden können und bei Bedarf muss ein Spezialist der Bank zur Verfügung stehen.
Dieses Cross-Channel-Banking gelingt freilich nur, wenn über alle Endgeräte hinweg alle Informationen und Funktionen der Sales-Prozesse einfach und komfortabel genutzt werden können. Ganz egal, ob es sich um einen Bestands- oder Neukunden handelt. Die technische Voraussetzung hierfür schafft Responsive Design. Zusätzlich sind Tools notwendig, die eine stetige „Mitnahme“ der einmal erfassten Angebotsdaten (auch ohne eine Registrierung und damit ohne die Preisgabe persönlicher Daten) gewährleisten. Wie das funktionieren kann? Beispielsweise durch die Angabe einer E-Mail-Adresse und die Definition einer Sicherheitsfrage. Die Angebotsdaten werden gespeichert und sind über den in der E-Mail versandten Link auf jedem Endgerät wieder aufrufbar. Eine simpel klingende und real existierende FinTech-Lösung, die aber bei noch keiner einzigen Bank der DACH-Region zum Einsatz kommt.
Banking goes Digital – analog no way
Wenn Banken endlich mit digitalen Erfahrungswelten positiv in Erscheinung treten und FinTech-Lösungen als Bereicherung ihres Angebots zielsicher einsetzen, haben sie gute Chancen, „neu erfunden“ erfolgreich im immer härter umkämpften Markt der Finanzprodukte zu bestehen. Denn sie verfügen über einen großen Kundenstamm, besitzen dank Führung des Girokontos (noch) über den engsten Kontakt zum Kunden und haben ein Vollsortiment im Angebot. Digitale Banken kann es also sehr wohl in zehn Jahren noch geben – analoge Angebote und Services allerdings werden in der Bedeutungslosigkeit versinken.
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