Versicherer im digitalen Zeitalter – Ein Bericht aus Leipzig

Im Herbst kamen bei den Versicherungsforen Leipzig rund 300 Vertreter aus der Branche zusammen, um aktuelle Themen und neue Partnerschaften einer Betrachtung zu unterziehen.

Seit vier Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Digitalisierung und in den letzten zwölf Monaten intensiv mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz (KI). Ich war gespannt auf die Vorträge, Gespräche und besonders auf die diesjährigen Teilnehmer des Rockstar Awards.

In den letzten Jahren, wenn disruptive Geschäftsideen von Start-ups im Rahmen des Rockstar Awards vorgestellt wurden, entbrannte auch schon einmal eine hitzige Diskussion mit Vertretern eingesessener Versicherungsunternehmen. In diesem Jahr waren es acht Gründerfirmen, die innerhalb von jeweils drei Minuten ihre Geschäftsidee einer Jury präsentierten, welche später darüber abstimmte und einen Sieger kürte. Allerdings: Start-ups bzw. Insurtechs, die gestandenen Unternehmen ihr Versicherungsgeschäft streitig machen wollen, traten nicht in Erscheinung.

Amazon die Stirn bieten oder Partnerschaften eingehen?

Im vergangenen Jahr war unter den Teilnehmern des Partnerkongresses durchaus Respekt vor den Internet-Riesen Amazon und Co. zu verspüren. Schließlich stehen die Firmen – wie kaum anderen Unternehmen – für Innovation und weisen zudem einen enormen Datenfundus auf, aus dem sie schöpfen und neue Produktideen entwickeln können. Zuletzt lautete die Devise der Versicherungsbranche, sich zusammenzuschließen, zu tüfteln, auszuprobieren und zu gründen. Zwar würde dies eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, aber so ließe sich den Tech-Giganten schlussendlich die Stirn bieten. Was vor einem Jahr aber nicht bedacht wurde, war die Option, dass auch die GAFA-Konzerne sich mit neuen Partnern zusammenschließen. Als aktuelles Beispiel ist hier MAPFRE Spain zu nennen, welches Amazon in der Branche den Weg nach Europa und Deutschland ebnen soll. Dementsprechend präsentierte sich auch der erste Vortrag auf dem Partnerkongress als eine Betrachtung der neuen Partnerschaft zwischen dem Finanzdienstleister und dem Onlineversandhandel.

Francisco S. Mesegar, Deputy General Manager Digital Transformation von MAPFRE Spain sprach im Rahmen der Veranstaltung ganz offen über den Deal mit Amazon. Dabei erscheinen die Entwicklungen in Spanien zunächst noch recht weit weg, doch betrachten wir die Übernahmen und Fusionen der letzten Jahre, springt dabei eine Besonderheit ins Auge: MAPFRE hat 2015 den deutschen Versicherer DirectLine übernommen und so Amazon durch den Deal einen Vertriebskanal in Europa und damit  auch in Deutschland eröffnet.

MAPFRE ist ein diversifizierter Finanzdienstleistungskonzern aus Spanien mit Schwerpunkt im Versicherungsgeschäft. Die Gruppe besteht aus 240 Einzelunternehmen, die in 38 Ländern in den Bereichen Versicherung, Rückversicherung, Immobilien, Finanzgeschäfte und sonstige Dienstleistungen tätig sind. MAPFRE nutzt die Erfahrung und Innovation von Amazon zum Vertrieb ihrer Versicherungsprodukte, gekoppelt an Produkte wie Fahrräder, Drohnen, etc. aber auch Stand-alone Versicherungen, wie zum Beispiel für Haustiere im Amazon Marketplace.

Für beide Seiten stellt die besondere Konstellation eine Win-win-Situation zur Kundengewinnung und zur Verbesserung der eigenen Reichweite dar, denn MAPFRE nutzt den Datenschatz des Versandriesen zum Erkennen und zur Analyse von Versicherungsoptionen und hat Zugang zum Amazon Family Members Pool. Das macht Eindruck und die Branche wird hier in völlig neue Richtungen denken müssen.

HDI next – Ein Start-up buhlt um motivierte Mitarbeiter

Für den Themenschwerpunkt Arbeitswelt (Arbeitsplatz und Fachkräfte-Recruiting) trat mit der HDI ein großer Player in den Ring. Klaus Schröder, Generalbevollmächtigter Leiter Betrieb-Sach, HDI-Versicherung AG, offerierte sein Konzept zur Mitarbeitergewinnung und Bindung, mit dem er in der Umgebung von Rostock schon sehr großes Aufsehen erregte.

Unter dem Titel „Nur ein neues Raumkonzept reicht nicht“ veranschaulichte Schröder seinen ganzheitlichen Ansatz. In der Hansestadt Rostock baute HDI zuletzt sein Servicecenter der Zukunft und schuf dabei zweihundert neue Arbeitsplätze. „HDI next“, so lautet der Name der neuen Versicherungstochter, befindet sich am Stadthafen in direkter Nachbarschaft zu Aida Cruises und Arosa. Die Mitarbeiter finden an der neuen Adresse ein offenes und farbfrohes Raumkonzept vor, aber auch flexible Arbeitszeiten und variable Vergütungsmodelle sowie unterschiedliche Incentives. Das, was sich seit mehreren Jahren schon am Arbeitsmarkt abzeichnete, nämlich der Kampf um die Talente von morgen, ist hier Realität geworden.

HDI next ist konzipiert als Start-up und buhlt um motivierte Mitarbeiter. Gesucht werden Versicherungsfachleute, aber auch Quereinsteiger. Die Mitarbeiter erhalten viele Extras rund um den Arbeitsplatz. So lassen sich e-Bikes kostenlos nutzen und eine Playzone mit Playstation für die Ablenkung zwischendurch wurde ebenfalls eingerichtet. Des Weiteren sollen kostenlose Jobtickets für den Nahverkehr bereitgestellt und neuen Mitarbeitern ein Notebook geschenkt werden.

Auch bezüglich der Arbeitszeiten wagt Schröder etwas Neues: „Es gibt keinen Schichtbetrieb. Zwei Tage die Woche können unsere Mitarbeiter von Zuhause arbeiten. Jeder bekommt Arbeit für 40 Stunden in der Woche. Wer schneller fertig ist, der hat entweder mehr Freizeit oder er kann mehr arbeiten und verdient dann auch mehr. Jeder Mitarbeiter kann dies für sich selbst entscheiden.“ Des Weiteren kümmert sich das Unternehmen auch um weitere Annehmlichkeiten, damit die Angestellten den Kopf für die Arbeit frei haben, wie zum Beispiel um einen Kinderkrippenplatz.

Das Konzept, welches HDI next umsetzt, ist angelehnt an die Geschäftswelt in New York und verkörpert die Einflussfaktoren, welche für die Mitarbeiter in der eigenen Work-Life-Balance eine besondere Rolle spielen: Selbstständigkeit, Freiheit und Individualität.

Mit digitalen Ökosystemen zu Wohlstand und Reichtum

Der Partnerkongress versteht sich auch als Innovationsmarktplatz für die Versicherungswirtschaft – dessen Kernkompetenz liegt im Erkennen und Aufgreifen neuer Themen und Trends. Mit „Versicherungsforen@Work“, „Costumer Experience“ sowie „Plattformen & Ökosysteme“ standen dieses Mal gleich drei interessante Zukunftsthemen auf der Agenda.

Eindrücke hinterließ auch Prof. Dr. Julian Kawohl, Professor für Strategisches Management an der HTW Berlin. In seinem Vortrag „Digitale Ökosysteme als Treiber von Innovationen und Wachstum“ zeigte er auf, inwiefern sich Versicherungsunternehmen in der Zukunft erfolgreich am Markt positionieren können.

Dabei betrachtete er zum einen die Prinzipien und die Auswirkungen von (digitalen) Business-Ökosystemen und schlug einen Bogen in Richtung ECOSYSTEMIZER-Konzept als Managementwerkzeug für Ökosysteme. Außerdem lieferte er einen Ausblick auf potenzielle Ökosystem-Stoßrichtungen und die Herangehensweise zur Ausarbeitung einer entsprechenden Positionierung für Unternehmen. Dabei stehen die Firmen in den zukünftig stark wachsenden Ökosystemmärkten drei wesentlichen Herausforderungen gegenüber. Zum einen stellt der Kontaktverlust zum Kunden ein Problem dar, aber auch schrumpfende Margen in traditionellen Geschäftsfeldern sowie verstärkte Nachfrage für vernetzte Dienste und individuelle Kundenerlebnisse setzen die Branche unter Druck.

Hierbei ist es wichtig zu begreifen und herauszufinden, in welchem Ökosystem sich das Unternehmen befindet und welches zukünftige Produktportfolio Gewinne erwirtschaftet. Das wissenschaftlich fundierte Managementtool „ECOSYSTEMIZER“ unterstützt dabei, die zentralen Ökosystemindikatoren zu strukturieren. Am Beispiel von WeWork, einem Coworking Space-Anbieter „Start-up“, zeigte Prof. Kawohl auf, wie die zukunftsträchtigen Potenziale von seinem Team ausgearbeitet wurden.

Pitch um den Rockstar Award 2019

Dieses Jahr stellten sich acht vom Organisator ausgewählte Start-ups dem Wettstreit um den Rockstar Award. Unter den Teilnehmern präsentierte sich eine gute Mischung aus Insurtechs, Fintechs und das erste Mal auch Healthtechs. Der herausragende Gewinner, der mit einem klaren Produkt überzeugte, war eCovery. Marcus Rehwald, Geschäftsführer von eCovery, nahm freudestrahlend den Award entgegen. Sein Unternehmen siegte vor den Kokurrenten Cognigy, FinTecSystems, Paladino Insurtech, Peregrine, riskine, Thryve und Yousign SAS.

Der Lokalmatador eCovery stellte als Produkt den „Physiotherapeuten für die Hosentasche“ vor, der Reha-Patienten mithilfe von sensorgestützten Therapieübungen bei der Genesung unterstützt. Das Produkt besteht aus einer Basis-App, einem Reha-Modul und zwei Bewegungssensoren. Gerade im Bereich des Kniegelenks lassen sich mit ihrem Produkt deutliche Fortschritte erzielen, so die Gründer.

Eine gelungene Veranstaltung

Der Partnerkongress 2019 war auch in diesem Jahr wieder ein großer Erfolg. Aus Leipzig ließen sich viele interessante Ansätze und Denkanstöße mit nach Hause nehmen. Vor allem, dass sich Arbeitswelten unaufhaltsam verändern und der Kampf um die Kunden und die besten Mitarbeiter gerade erst begonnen hat. Der Gründer- und Erfindergeist scheint in Deutschland weiterhin ungebrochen. Wir können uns auf neue innovative digitale Lösungen in naher Zukunft freuen.

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