Vorsprung durch Wissen: Big Data in der Finanzindustrie

Blockchain, Cognitive Computing, Smart Data und Monitoring: Big Data hat das Zeug, die Finanzindustrie auf den Kopf zu stellen.

Die Finanzindustrie hat sich Big Data bisher eher zögerlich genähert. Aber eine Veränderung ist absehbar – denn gerade der Finanzsektor ist für eine regelrechte Explosion der Big-Data-Nutzung prädestiniert. Vor allem in den Kerngeschäftsbereichen sind die Potenziale enorm: Das reicht von neuen Produkten über eine erhöhte Servicequalität bis hin zu signifikanten Aufwands- und Kostensenkungen.

Was in der Praxis zu beachten ist und wie Best Practices aussehen könnten, diskutierte kürzlich der Arbeitskreis Big Data des Bitkom.

Die Blockchain zwischen Hype und Herausforderung

Ein Hypethema im Finanzsektor ist die Blockchain – sie durfte auch bei dieser Veranstaltung nicht fehlen. In die Thematik führte Dr. Markus Kaulartz, Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle, ein. Er stellte Anwendungsbereiche vor und ging auf regulatorische Herausforderungen ein. Anschließend präsentierte Sandra Leonie Ritter, CEO bei Leondrino Exchange, u.a. konkrete Use Cases.

Besonderes interessant wird die Blockchain, wenn durch Transaktionen Willenserklärungen ausgetauscht werden, die zu einem Vertragsschluss führen. Man spricht von Smart Contracts. Ihr Inhalt ergibt sich aus dem Programmcode, der den Transaktionen angehängt ist. Ein einfaches Beispiel: das typische Zug-um-Zug-Geschäft. Ein Kunde bestellt ein Produkt bei einem Händler und tätigt dann die Zahlung an den Händler. Bei Marktplätzen wie Amazon überwacht Amazon als vertrauenswürdiger Partner die Abwicklung der Transaktionen. Was aber, wenn sich Käufer und Verkäufer nicht „kennen“ und es sich nicht um den Kauf einer Immobilie handelt, wo Notare diese Funktion einnehmen? Hier kann ein sogenannter Smart Contract diese Funktion übernehmen. Er überwacht die Sendungsverfolgung und die Zustellung. Sobald diese erfolgt ist, wird das Geld an den Händler ausbezahlt. Das Geld fließt, wenn die Programmlogik es vorsieht. Der Smart Contract ist damit nicht nur selbst-ausführend, sondern auch selbst-durchsetzend. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: geringere Kosten, Schnelligkeit, Beständigkeit und Nachvollziehbarkeit der Transaktionen, auch ohne einen kostenintensiven und risikobehafteten zentralen Man-in-the-Middle.

Auf der anderen Seite stehen allerdings zahlreiche Herausforderungen. So darf der Programmcode nicht mit anwendbarem Recht in Konflikt stehen – die Frage ist, ob und wie einzelne oder mehrere Gesetze in solche Verträge hineinprogrammiert werden müssen. Was die Handhabbarkeit sicherlich herab- und das Datenvolumen heraufsetzen würde. Daneben sind technische Fragen zu klären: Eine zentrale Hürde ist die mangelnde Skalierbarkeit der Blockchain, also die Schwierigkeit, die Technik im Massengeschäft einzusetzen. Außerdem muss die Gefahr des Double-Spendings diskutiert werden: Transaktionen können mehrmals ausgeführt werden – bis die Blockchain schlussendlich alle bis auf eine der vervielfältigten Transaktionen für ungültig erklärt. Händler, die sich möglicherweise zu früh auf eine Zahlung verlassen haben, stehen dann aber bereits mit leerer Wallet da.

Anwendungsfälle der Blockchain

Wie sehen sie nun aus, die konkreten Use Cases? Die European Banking Federation sieht Potenziale beim Übertragen von Vermögenswerten wie Immobilien, aber auch bei der Automatisierung von Aufgaben, z.B. von Dokumentationen oder ganzen Verträgen. Sandra Leonie Ritter stellte Use Cases für Krankenkassen vor: Diese haben ein Interesse daran, dass sich möglichst viele ihrer Versicherungsnehmer an den vorgeschlagenen Vorsorgeuntersuchungen beteiligen, etwa an den U-Untersuchungen für Kinder. Lässt ein Versicherter diese regelmäßig durchführen, könnte das Versicherungsunternehmen dies beispielsweise mit einer speziellen Währung oder Gutscheinen incentivieren, mit denen in der Apotheke frei verkäufliche Arzneimittel gekauft werden können. Hinter diesem scheinbar simplen Beispiel liegt eine ganze Reihe von Regeln und Transaktionen, die transparent und vor allem automatisiert durchgeführt werden könnten.

Wie groß die Potenziale seitens der Finanzindustrie eingeschätzt werden, zeigt auch die Tatsache, dass Großbanken wie UBS, Credit Suisse und Goldman Sachs bereits intensiv in die Entwicklung standardisierter Blockchains investieren.

Cognitive Computing ermöglicht individuelles Massengeschäft

Der Vortrag von Stefan Holtel, brightONE Consulting, zeigte auf, wie dank Cognitive Computing die nächste Generation der Robo Advisor aussehen könnte. Heute nutzen diese bei der Informationsabfrage relativ statische Formulare – kein Wunder, dass dann, egal was eingegeben wird, die Anlagevorschläge immer recht ähnlich ausfallen. Cognitive Computing könnte dies ändern: Im Jahr 2011 bezwang IBM Watson die Allzeitgewinner des TV-Ratespiels Jeopardy! und riss damit die Tür zu einer anderen Art des Mensch-Maschine-Dialogs auf: Watson verstand und sprach ganze Sätze, brillierte in vielen Wissensdomänen gleichzeitig, wertete unstrukturierte Daten aus, verstand subtile Wortspiele, lernte unentwegt weiter und antwortete in einem Wimpernschlag. FinTechs (und Banken) könnten diese Intelligenz nutzen, um die Qualität ihrer Kundendialoge und die Beratungsqualität signifikant zu verbessern und deren Dynamik komplett zu verändern. 80 Prozent der Beratung würde man mit einem Robo Advisor führen – natürlich-sprachlich wie mit einem Menschen. Und er lernt täglich dazu: durch Fragen, finanzielle Transaktionen, die aktuelle Lebenssituation. Robo Advisor würden damit für eine breite Masse attraktiv und d.h., Anbieter profitieren von einem hohen Volumen bei moderat steigenden Kosten.

Smart Data: Echtzeitkreditwürdigkeitsprüfung

Ein manueller Antragsprozess mit komplexen Annahmerichtlinien und tagelangen Verzögerungen – so sieht die Realität aus, wenn heute ein Kredit beantragt wird. Martin Schmid, Chief Sales Officer, FinTecSystems GmbH, skizzierte einen Ausweg und demonstrierte, wie die Kreditwürdigkeit digital nachgewiesen werden kann. Der Antragsteller gibt der Bank, bei der er einen Kredit beantragt, einen temporären lesenden Zugang zu den Umsätzen seines Online-Bankings. Auf Basis dieser Umsätze kann eine vollautomatisierte, digitale Finanzanalyse über den Konsumenten erstellt werden. Die „Digitale Selbstauskunft“ ermöglicht es dem Finanzdienstleister, die Bonität des potenziellen Kreditnehmers verlässlich sowie in Echtzeit einzuschätzen und den Kredit sofort zu gewähren: Real Time Financial Data. Diese Daten sagen meist mehr über die echten Lebensumstände und somit auch die Bonität des Antragsstellers aus als die Daten von Auskunfteien wie der Schufa oder Creditreform oder z.B. der letzte Gehaltsnachweis. Sicher wird es der eine oder andere noch befremdlich finden, Dritten einen Zugang zu seinem Online-Banking zu gewähren, aber seien wir doch mal jenseits von Fensterreden zum Thema Datenschutz ehrlich: Jeder, der SOFORT Überweisung über multibankenfähige Dienste nutzt, tut dies schon längst. Aus meiner Sicht eine echt smarte Idee mit Potenzial!

Smarte Big-Data-Lösungen für die Finanzindustrie

Sicher kann darüber man diskutieren, welche Rolle die Blockchain in der Finanzindustrie zukünftig einnehmen wird und ob Smart Contracts sich durchsetzen und den Handel (noch einmal) revolutionieren werden. Genauso werden die nächsten ein bis zwei Jahre zeigen müssen, welche Geschäftsideen von FinTechs für unser aller Leben relevant sein werden und welche sang- und klanglos wieder verschwinden. Klar ist aber, dass die technischen Möglichkeiten für neue Ideen noch längst nicht erschöpft sind. Besonders die Finanzindustrie fängt gerade erst damit an, die Massen an kundenbezogenen Daten systematischer auszuwerten und darauf basierend Mehrwerte bereitzustellen. Und wir als Kunden sind in einem immer stärker werdenden Maße bereit, diesen Weg mitzugehen.

 

Bildquelle: Shutterstock

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